Der Etat für die Ära neuer Konflikte
Der neue Etatentwurf der EU-Kommission ermöglicht es ihr, schnell und schlagkräftig in künftige Krisen und Konflikte zu intervenieren und die Mitgliedstaaten stärker als bisher zu disziplinieren. Beobachter warnen vor Demokratieabbau.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die EU-Kommission legt einen langfristigen Haushaltsplan in Rekordhöhe vor und will mit einer Neustrukturierung des EU-Budgets ihre Kontrolle über die nationalen Aktivitäten der EU-Mitgliedstaaten und ihre außenpolitische Schlagkraft erhöhen. Wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am gestrigen Mittwoch in Brüssel mitteilte, soll sich der EU-Etat für die Jahre von 2028 bis 2034 – der sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen – auf rund zwei Billionen Euro belaufen; das sind 1,26 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit deutlich mehr als die 1,1 Prozent des BIP, die Brüssel für die Jahre von 2021 bis 2027 aufwendet. Geplant ist eine Bündelung der zentralen EU-Ausgaben in drei großen Etatposten, die es der Kommission einerseits gestattet, schneller auf Krisen und Konflikte zu reagieren, andererseits es aber auch erlaubt, die Mitgliedstaaten stärker als bisher zu kontrollieren, so etwa unter dem Schlagwort „Rechtsstaatlichkeit“. Nicht zuletzt plant die Kommission einen „Global Europe Fund“ für eine ehrgeizige Weltpolitik. Beobachter warnen vor einer deutlichen Schwächung des Europaparlaments, vor einer Stärkung der Kompetenzen der Kommission und vor Demokratieabbau.
Flexibler und schlagkräftiger
Hintergrund der Pläne, die Struktur des EU-Haushalts tiefgreifend zu verändern, ist die Absicht der EU-Kommission, einerseits in Zukunft flexibler und schlagkräftiger handeln zu können, andererseits aber auch mehr Gelder für außenpolitische Aktivitäten und für die Hochrüstung der Mitgliedstaaten zur Verfügung zu haben. Wie die Kommission erklärt, seien bislang gewöhnlich rund 90 Prozent der Ausgaben im Mehrjährigen Finanzrahmen festgelegt worden. Der Mehrjährige Finanzrahmen schreibt die Ausgaben der EU für jeweils sieben Jahre vor; der lange Zeitraum ist gewählt worden, um nicht jedes Jahr erneut in aufwendige Budgetverhandlungen eintreten zu müssen. Er solle künftig so gestaltet werden, dass die Kommission im Falle von Krisen oder von Kriegen auf umfangreichere Mittel zurückgreifen könne, heißt es in Brüssel. Dazu müsse die bisherige Etatstruktur aufgebrochen werden. Diese sah vor, rund ein Drittel der Ausgaben den Landwirten sowie ein weiteres Drittel den Regionen zukommen zu lassen – Letzteres mit dem offiziellen Ziel, das Lebensniveau in den ärmeren Regionen der EU an dasjenige der wohlhabenderen Regionen anzugleichen. Hinzu kam eine Vielzahl kleinerer EU-Programme mit unterschiedlicher Zweckbestimmung.
Stärker disziplinieren
Demgegenüber ist nun ein neuer Modus geplant. Demnach sollen die Mittel für die Landwirte und die Mittel für die Regionen in einen beispiellos dimensionierten Haushaltsposten namens „Europäisches Sozialmodell und Lebensqualität“ fließen. Zu dessen genauem Volumen kursierten am gestrigen Mittwoch unterschiedliche Zahlen, nachdem im Verlauf einer Sitzung der EU-Kommission, die sich bis in den Nachmittag gezogen hatte – viel länger als geplant –, offenkundig voneinander abweichende Angaben durchgestochen worden waren. Letztlich sind laut aktuellem Stand 865 Milliarden Euro für diesen Etatposten vorgesehen, also fast die Hälfte des Gesamthaushalts, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf zwei Billionen Euro anheben will.[1] Anders als bisher wird das Geld direkt an die Mitgliedstaaten überwiesen, die im Gegenzug „Nationale und Regionale Partnerschaftsabkommen“ mit der Kommission schließen; darin legen die Mitgliedstaaten Ziele für ihre Ausgaben fest und verpflichten sich – dies ist folgenreich – zu „Reformen“.[2] Diese könnten insbesondere, wie es heißt, die Wahrung der „Rechtsstaatlichkeit“ betreffen.[3] Unter diesem Motto diszipliniert die EU seit Jahren missliebige Regierungen wie diejenige von Viktor Orbán in Ungarn.
Weniger demokratische Kontrolle
Neben dem gewaltigen Fonds für Landwirte und Regionen plant die EU-Kommission einen neuen Budgetposten – den Fonds für Wettbewerbsfähigkeit (European Competitiveness Fund, ECF). In ihm sollen mehr als ein Dutzend bisher selbständige Programme zusammengeführt werden. Offiziell heißt es dazu, die Kommission wolle „Komplexität“ und „Bürokratie“ reduzieren. Zumindest ursprünglich war geplant, die Aufsicht über den ECF der Kommission zu übertragen. Diese bekäme damit größere Flexibilität, die Gelder – am Mittwoch kursierte die Zahl von 410 Milliarden Euro, etwas weniger als zeitweise geplant – nach ihren eigenen Vorstellungen zu nutzen und sie, so etwa im Fall neu eintretender Krisen und Konflikte, schlagkräftiger als bisher einsetzen zu können. Allerdings stößt der ECF auf erhebliche Kritik nicht zuletzt aus dem Europaparlament, das sich – wie bereits im Hinblick auf den Agrar- und den Regionalhaushalt – seiner Mitspracherechte beraubt, also entmachtet sieht. Dies sei die Kehrseite einer größeren Schlagkraft der Kommission, urteilt etwa Lucas Resende Carvalho, ein Experte der Bertelsmann Stiftung für Wirtschaftspolitik. Er warnt: „Wenn man das Europaparlament ausschließt, reduziert man die demokratische Kontrolle.“[4]
„Global Europe“
Über diese beiden Etatposten hinaus sieht die Haushaltsplanung der EU-Kommission noch einen dritten vor, für den der Name „Global Europe Fund“ kursiert. In ihm sollen Programme zusammengeführt werden, die Länder jenseits der EU betreffen. Damit ermöglicht es der Fonds der Kommission, gezielter als bisher Mittel für eine global ausgreifende Einflusspolitik der EU einzusetzen. Die Programme des Global Europe Fund sollen streng nach Regionen gegliedert werden; das erleichtere es etwa sehr, hieß es vorab, „Entwicklungszusammenarbeit als Werkzeug der EU-Außenpolitik einzusetzen“.[5] Das Volumen des Global Europe Fund wurde am gestrigen Mittwoch mit rund 200 Milliarden Euro angegeben. Jenseits des offiziellen Haushalts ist ergänzend ein Ukraine-Fonds geplant, den von der Leyen mit rund 100 Milliarden Euro ausstatten will.[6]
Noch mehr Streit
Der Neustrukturierung der EU-Ausgaben steht eine Neustrukturierung auch auf der Einnahmenseite gegenüber. Diese fallen auch deshalb höher aus als zuvor, weil ab 2028 pro Jahr zwischen 25 und 30 Milliarden Euro an Schuldenrückzahlungen fällig sind – Schulden, die einst für den EU-Coronafonds aufgenommen wurden. Den Plan, dafür Erträge aus einer etwaigen neuen Digitalsteuer zu nutzen, die von den US-Digitalriesen erhoben werden könnte, hat von der Leyen schon vorab umstandslos fallenlassen, um zentrale Interessen der Trump-Administration zu berücksichtigen (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Zum Ausgleich will sie eine Abgabe auf nicht verwerteten Elektroschrott erheben und einen Anteil an der nationalen Tabaksteuer kassieren. Zudem ist eine Steuer für in der EU ansässige Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 100 Millionen Euro geplant. Dagegen erhebt sich schon jetzt starker Protest in der deutschen Wirtschaft, zumal ein hoher Prozentsatz der betroffenen Unternehmen – die Rede ist von bis zu 40 Prozent – in der Bundesrepublik angesiedelt ist. Beobachter rechnen damit, dass der Budgetentwurf für mindestens zwei Jahre für ernsten Streit in der EU sorgen wird – zusätzlich zu den längst bestehenden Differenzen.
[1] EU-Kommission will Ausgaben auf zwei Billionen Euro erhöhen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2025.
[2] Hendrik Kafsack: Radikalreform für den EU-Haushalt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.07.2025.
[3] Jorge Liboreiro: Von der Leyen stellt stark aufgestockten „strategischen“ 2-Billionen-EU-Haushalt vor. de.euronews.com 16.07.2025.
[4] Janos Allenbach-Ammann: ECF: Commission expands its powers. table.media 10.07.2025.
[5] Hendrik Kafsack: Radikalreform für den EU-Haushalt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.07.2025.
[6] Hendrik Kafsack, Werner Mussler, Manfred Schäfers: Zwei Billionen Euro. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2025.
[7] S. dazu In der Falle (II).

ex.klusiv
Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.
Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.
Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)
Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.
Die Redaktion
P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)